Ankommen im Lernen
Ich bin in Woche 1 meiner Weiterbildung zum Professional Scrum Master (PSM I) angekommen – und etwas Unerwartetes passiert: Ich atme auf. Lernen fühlt sich wie eine Befreiung an. Nicht, weil Arbeit „schlecht“ wäre, sondern weil Bildung mich wieder in direkten Kontakt mit mir selbst bringt: mit meiner Neugier, meinen Fragen, meinen Werten.
Arbeit fokussiert häufig das Außen: Chef, Projekt, Budget, Prozesse, Kolleg:innen, Alltagsdruck. Bildung dagegen dreht den Fokus: Ich lerne, ich übe, ich entwickle Handlungsfähigkeit. Das macht etwas mit mir – und es macht mir gerade richtig Spaß.
Bildung ≠ Ausbildung: ein wichtiger Unterschied
Ein Satz begleitet mich seit dieser Woche:
Ausbilden können uns andere – bilden können wir uns nur selbst.
Ausbildung zielt auf Können: zertifizierbare Skills, nachweisbare Abschlüsse. Bildung zielt auf Werden: Haltung, Urteilskraft, Werte, Charakter. In dieser ersten Woche erlebe ich beides: Ich eigne mir Methoden an und justiere meine innere Haltung.
Damit ich das für mich greifbar halte, ordne ich mein Weiterkommen in fünf Ebenen:
1) Kognitiv – Verstehen
Ich begreife Scrum als reduziertes, klares Rahmenwerk. Nicht mehr Regeln als nötig. Keine Welt aus Formularen. Das Wesentliche wird sichtbar – Empirie statt Bürokratie.
2) Methodisch – Anwenden
Ich übe Events, Artefakte, Verantwortlichkeiten. Ich lerne, wie man eine Transparenz schafft, die wirklich nützt: klare Ziele, klare Abnahmen, klare Lernschleifen.
3) Sozial – Miteinander gestalten
Ich spüre, wie Kommunikation und Teamdynamik im Zentrum stehen. Nicht „Computersprache“, sondern Menschensprache. Konflikte werden anschlussfähig, Feedback wird normal.
4) Persönlich – Haltung entwickeln
Ich arbeite an meiner Gelassenheit mit Unsicherheit. Ich trainiere das Nicht-Wissen-Dürfen und Fragen-Können. Ich merke: Das gibt mir Kraft.
5) Beruflich – Wirkung entfalten
Die Folge: Ich sehe, wo und wie ich künftig wirksam sein will. Nicht überall, sondern dort, wo die Kultur die Prinzipien von Scrum zulässt.
Scrum: radikale Einfachheit ist anspruchsvoll
Was mich am meisten fasziniert: Scrum ist simpel – aber nicht simpel-istisch. Die Reduktion auf wenige Elemente ist kein Mangel, sondern Absicht. Sie zwingt zu Fokus, Offenheit, Mut, Respekt, Commitment. Keine „unendlichen Regeln“, keine endlosen Templates. Minimale Dokumentation, maximale Klarheit.
Gerade in der Verbandslandschaft kenne ich eine andere Realität: Protokollwut, Beschlussdokumentationen, endlose Runden, weil legitimerweise viele Stakeholder beteiligt werden sollen. Das ist demokratisch gut gemeint – und doch kippt es oft ins Zuviel. Ergebnis: Das Wesentliche (kundennützliches Ergebnis, Einführung, Veränderung) bleibt auf der Strecke. Scrum hält hier den Spiegel hin: Transparenz, kurze Lernzyklen, klare Verantwortung – und Fokus auf das Produkt, nicht auf Papier.
Kultur statt Checkliste
Deswegen spricht man zurecht von agiler Transformation. Scrum ist kein neues Formularset, sondern ein anderes Betriebssystem für Zusammenarbeit: Entscheidungen nah am Team, Empirie vor Meinung, Inspektion & Anpassung als Routine. Das funktioniert nur, wenn Organisationen bereit sind, Kontrolle gegen Vertrauen zu tauschen und Verantwortung wirklich zu delegieren.
Viele Organisationen – in Deutschland und besonders in der Sozialwirtschaft – sind hierarchisch geprägt. Auch wenn es Gremien gibt, bleibt am Ende oft das Gefühl: „Was oben entschieden wird, ist Gesetz.“ Scrum fragt zurück: Was, wenn wir die Entscheidungsfähigkeit dorthin geben, wo das Wissen sitzt? Das ist Kulturarbeit. Anspruchsvoll – aber lohnend.
Aha-Moment: Die Rolle des Scrum Masters
Eine meiner größten Überraschungen: Der Scrum Master ist kein „Head of Knowledge“ und schon gar kein Technokrat. Er ist Ermöglicher, Coach, Dienstleister am Team. Er kuratiert Rahmenbedingungen, schützt Fokus und hilft, Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Er sorgt dafür, dass Werte gelebt, Events sinnvoll und Artefakte nützlich sind. Kurz: Er macht wirksames Arbeiten möglich – nicht lauter.
Diese Perspektive berührt mich, weil sie sehr menschlich ist. Es geht um Kommunikation, Facilitation, Moderation, psychologisches Grundverständnis. Um Räume, in denen Teams selbstständig gute Arbeit leisten können.
Warum mich das begeistert
- Klarheit statt Nebel: Wenige Elemente, klare Sprache, klare Ziele.
- Lernen statt Rechtfertigen: Kurzzyklisch, empirisch, wertorientiert.
- Menschen statt Mechanik: Zusammenarbeit wird bewusst gestaltet, nicht dem Zufall überlassen.
- Mut statt Micromanagement: Vertrauen, Verantwortung, Transparenz – in dieser Reihenfolge.
Ich merke nach Woche 1: Das passt zu mir. Ich mag Struktur, aber keine Überregulierung. Ich mag Verantwortung, aber nicht Machtspiele. Ich mag Klartext, aber ohne Demütigung. Scrum gibt mir dafür eine Form.
Mein persönliches Zwischenfazit
- Bildung bringt mich in Kontakt mit mir selbst.
- Scrum bringt mich in Kontakt mit dem Wesentlichen in Projekten.
- PSM I ist für mich nicht nur ein Abschluss, sondern ein Schritt in eine andere Art zu arbeiten.
Ich freue mich auf Woche 2 – auf weitere Aha-Momente, auf Praxisübungen und auf die Frage: Wie übersetze ich diese Prinzipien in den Kontext von Verbänden und Sozialwirtschaft, ohne in die alte Dokumentationslogik zurückzufallen? Genau dort möchte ich Mehrwert stiften.
Notiz an mich selbst: Dranbleiben. Dinge einfach halten. Gespräche führen, nicht Formulare erweitern. Und: Lernen ist kein Luxus – es ist eine Haltung.
- Scrum – Framework für komplexe Produktentwicklung – Umsetzung des agilen Manifests.
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